Welchen Stellenwert haben Reha-Ziele in Forschung und Praxis?

Individuelle Zielvereinbarungen haben in der gesundheitspolitischen Diskussion seit über 20 Jahren einen hohen Stellenwert. Dies gilt sowohl für die Rehabilitation als auch die Akutversorgung (Stichwort „partizipative Entscheidungsfindung“). Auch die Diskussionen um eine stärkere Ergebnisorientierung in der Rehabilitation kann mit Reha-Zielen in Verbindung gebracht werden.

Im Rahmen der Rehabilitationsforschung sind inzwischen mehrere Ansätze zur Reha-Zielarbeit entwickelt und wissenschaftlich evaluiert worden, z.B. im gemeinsamen Förderschwerpunkt „Chronische Krankheiten und Patientenorientierung“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Deutschen Rentenversicherung Bund, der Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen und des Verbandes der privaten Krankenversicherung e.V.. An dieser Stelle kann lediglich ein kurzer Überblick (s. Kasten 1.1) über die Forschungsaktivitäten gegeben werden.

 Kasten 1.1: Publizierte Konzepte zur Reha-Zielarbeit aus dem deutschsprachigen Raum

Thema

Projekt

Inhalte

Publikation

Partizipative Zielvereinbarungen in Einzelgesprächen

PARZIVAR

Manual und Zielvereinbarungsformulare für die Indikationen chronischer Rückenschmerz, Herzinfarkt und Diabetes Mellitus

Dibbelt et al., 2011

Partizipative Entscheidungsfindung zur Stärkung der Patienten- und Mitarbeiterorientierung

PEFiT

Entwicklung und Evaluation eines Fortbildungsprogramms zur Partizipativen Entscheidungsfindung in der medizinischen Rehabilitation

Körner, 2012

Rehabilitation mit hohem psycho-therapeutischem Anteil

 

Klärung des Therapieziels zu Beginn der Behandlung, indikationsspezifische Therapiezielkataloge

Berking et al., 2003

Förderung von gesunder Ernährung und Bewegung

MoVo-Lisa

Gruppenprogramm zur Lebensstil-integrierten sportlichen Aktivität, Transfer von neuen „gesünderen“ Verhaltensweisen in den Alltag

Göhner & Fuchs, 2007 (s. auch Geidl et al., 2012)

Nachhaltigkeit von Rehabilitationsergebnissen

Neues Credo

Zielsetzungen, die über den Reha-Aufenthalt hinaus wirksam bleiben, Verbindung zur Nachsorge

Deck et al., 2012

 

Zielarbeit in der medizinisch-beruflichen Orientierung

ZaZo

Gruppenintervention, Zielanalyse und Zieloperationalisierung in mehreren Stufen

Hanna et al., 2010

Für den Bereich der medizinisch-beruflich orientierten Rehabilitation sei zudem auf das umfassende Arbeitsbuch „Arbeits- und berufsbezogene Orientierung in der medizinischen Rehabilitation“ verwiesen, welches auch einige Ansätze zur partizipativen Entscheidungsfindung enthält (Gerlich et al., 2012; Lukasczik et al., 2011).

Die derzeitige Umsetzungspraxis der Zielarbeit in der medizinischen Rehabilitation in Deutschland wird als defizitär beurteilt (Meyer et al., 2008; Schliehe, 2009). Auch sind wenige Studienergebnisse für die Weiterentwicklung bestehender Konzepte verfügbar (Glattacker et al., 2013). Die Übersichtsarbeit von Buchholz und Kohlmann (2013) kommt zu dem Ergebnis, dass für die Erfassung von Zielen im Bereich der medizinischen Rehabilitation nur wenige Erhebungsinstrumente zur Verfügung stehen, von denen sich bislang keines als Standard etabliert hat. Durch die hohe Variabilität in der methodischen Vorgehensweise und Ergebnisdarstellung sei - so die Autoren - die studienübergreifende Vergleichbarkeit erheblich eingeschränkt.

In der internationalen Literatur liegen Evaluationsergebnisse zur Reha-Zielarbeit bisher vor allem für den Bereich der neurologischen Rehabilitation vor (u.a. Rosewilliam et al., 2011). Es ist jedoch zu bedenken, dass die langfristig auf Teilhabe und Sekundärprävention ausgerichtete Behandlung bei anderen chronischen Krankheiten hier oftmals nicht unter dem Schlagwort „Rehabilitation“ geführt wird. Im deutschen Sozialversicherungssystem findet sie dagegen als „medizinische Rehabilitation“ sowohl in ambulanten als auch im stationären Sektor statt.

Frühere systematische Reviews zu Zielvereinbarungen haben gezeigt, dass die unmittelbare Performanz von Patienten das Aufgaben-Pensum und die Adhärenz in Bezug auf Behandlungsregimes durch Goal Setting verbessert werden konnten, nicht jedoch distale Outcomes der Rehabilitation (Levack et al., 2006). Die Ergebnisse wurden von Rosewilliam et al. (2011) und Sugavanam et al. (2013) reproduziert.

Ein aktualisiertes Cochrane-Review von Levack et al.: "Goal setting and strategies to enhance goal pursuit for adults with acquired disability participating in rehabilitation” kommt nach dem Einschluss von 39 Studien zu dem Schluss, dass es eine schwache Evidenz geringer Qualität dafür gibt, dass Zielvereinbarungen (Goal Setting) bei erworbenen Behinderungen einige Outcomes verbessern können. Dabei scheinen positive Effekte auf psychosoziale Reha-Ergebnisse (gesundheitsbezogene Lebensqualität, emotionaler Status und Selbstwirksamkeit) eher gesichert als solche auf physische Ergebnisse. Diese Effekte sind jedoch aufgrund der Studienlage als sehr unsicher zu betrachten (Levack et al., 2015).