Was ist im Umgang mit unterschiedlichen Bedarfen zu beachten?

Vermutet der Behandler besondere Bedarfe, ist das aktive Zuhören, das Verstehen von Anliegen und ggf. das Verständnis des (kulturellen) Bezugsrahmens besonders wichtig. Die Regeln der Gesprächsführung (Wertschätzung, Aufmerksamkeit, Respekt, Strukturierung, Transparenz, verständliche Sprache, Absicherung des Verständnisses) sind hier in besonderem Maße zu beachten.

Die Zugehörigkeit von Rehabilitanden zu bestimmten Gruppen birgt die Gefahr von stereotypen Erwartungen auf Seiten des Behandlers. Beispiele für solche Stereotype sind:

  • „Ältere Menschen sind (körperlich, kognitiv) nicht belastbar.“
  • „Rentenantragsteller sind nicht zu Therapien motiviert.“
  • „Lehrerinnen sind anspruchsvoll und kritisch.“

Es ist wichtig, sich diese Stereotype bewusst zu machen und möglichst ergebnisoffen sowie differenziert an die Zielklärung heranzugehen. Allein aus der Zugehörigkeit zu einer Gruppe (z. B. ältere Rehabilitanden, Rehabilitanden mit Migrationshintergrund oder einer bestimmten Religionszugehörigkeit) sind besondere Bedarfe nicht abzuleiten und müssen daher im Einzelfall sorgfältig überprüft werden.

Geschlechtsspezifische Unterschiede

Nach Mittag & Grande (2008) sind Unterschiede der Reha-Bedarfe von Frauen und Männern in unterschiedlichen Lebens- und Arbeitsbedingungen begründet. So waren Frauen seltener berufstätig und haben daher seltener einen Anspruch auf Rehabilitationsleistungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit betrugen die Erwerbsquoten 2014 in Deutschland bei Männern 82,2 % und bei Frauen 72,8 % der 15- bis unter 65-Jähringen (Statistik der Bundesagentur für Arbeit, 2017).

Entsprechend ihrer Lebenswelten unterscheiden sich die Reha-Ziele von Männern und Frauen: Da Frauen stärker in die Kindererziehung eingebunden und in der Familie gefordert sind, steht bei Frauen der Ausgleich von familiären Problemen und Mehrfachbelastung im Vordergrund. Nach den Ergebnissen der Studie wünschen sich Frauen eher Entlastung vom Alltag, Erholung sowie Gewichtskontrolle, während bei Männern die Klärung beruflicher Probleme, Rentenfragen und Fitness im Vordergrund stehen (Mittag & Grande, 2008). Allerdings sollten diese Befunde nicht verallgemeinert, sondern im Gespräch mit der jeweiligen Person geprüft werden.

Besonderheiten bei älteren Rehabilitanden

Mit der Veränderung des Altersspektrums der Rehabilitanden geht die Frage nach der Entwicklung spezifischer Therapie- und Rehabilitationsangebote für ältere Rehabilitanden einher. Studien erbrachten Hinweise auf eine höhere Beschwerdelast und spezifische Problemlagen von älteren Berufstätigen (Deck et al., 2009; Pohontsch et al., 2008). So sind bei älteren Rehabilitanden (über 55 Jahren) Mehrfacherkrankungen wahrscheinlicher und die rentenbezogenen Reha-Erwartungen und -Ziele stärker ausgeprägt (Eckel et al., 2011).

Kulturelle und religiöse Besonderheiten

Besondere kulturelle und religiöse Orientierungen und deren Vereinbarkeit mit möglichen Zielen und Maßnahmen in der Rehabilitation sollten bei der Zielaushandlung sorgfältig geklärt und soweit wie möglich berücksichtigt werden. Folgende Aspekte sollten im transkulturellen medizinischen Kontakt besonders sensibel behandelt werden (Silverman et al., 2005):

  • verbale und nonverbale Kommunikation,
  • körperliche BerĂĽhrung,
  • Nacktheit,
  • Körpersprache,
  • Nähe – Distanz,
  • Blickkontakt,
  • Emotionsausdruck,
  • gesundheitsbezogene Einstellungen:
    • Einstellungen zu Krankheit und Gesundheit
      • Symptomverständnis: Was wird als normal oder abweichend aufgefasst?
      • Annahmen ĂĽber Krankheitsursachen
    • Erwartungen an den Arzt,
    • Einstellungen zu therapeutischen Angeboten sowie
  • die Bedeutung spezifischer Themen wie z. B. Sexualität, Drogenmissbrauch oder häusliche Gewalt.